Klaus Kinold
Hans-Michael Koetzle
Textbeitrag zum Portfolio, Klaus Kinold Panorama, München, 2010
Die Titel, die Legenden sind knapp, knapper könnten sie nicht sein. Ort und Jahr der Aufnahme müssen genügen. Keine Lyrik also, keine flankierenden Metaphern. Das Bild steht für sich, will ohne Subtext gesehen und gelesen werden. »Fuerteventura, 1982« begleitet als betont nüchterne Information ein Panorama, das Klaus Kinolds besonderen Blick, seinen Blick auf die Welt, sein suchendes, forschendes, analysierendes Auge aufs Schönste belegt. Vor uns: Eine ebenso karge wie ausladende Landschaft, ein Gebirgsmassiv, wie es in seiner eleganten Fältelung bereits die malenden, zeichnenden »Landschafter« des 19. Jahrhunderts begeistert haben könnte. Allerdings: Kein Baum, kein Strauch, keine größere Vegetation, die dem Ausschnitt auch nur einen Hauch Bukolik vermitteln würde. Was wir sehen, ist vor allem nackter, in die Tiefe gestaffelter Fels. Landschaftsfotografie, hat Klaus Honnef einmal sinngemäß konstatiert, sei eigentlich ein unfotografisches Genre. Die unberührte Natur gebe sich statisch, sei allenfalls dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt, aber eben nicht jenen historischen, sozialen Prozessen unterworfen, die zu registrieren und zu sammeln die Fotografie nun einmal angetreten und befähigt sei. Klaus Kinolds Aufnahme »Fuerteventura« ist unzweifelhaft ein Landschaftsbild, eine natürlicher Vorgabe geschuldete Situation, in die allerdings der Mensch eingegriffen, ein zartes Band gezaubert hat, einen fein hingetupften Faden, nehmen wir an: die weiß abgesetzte Begrenzung einer Pass-Straße, die sich quer und in etwa auf Höhe des unteren Bilddrittels über das Panorama zieht. So wird aus Landschaft ein Stück Zivilisation, aus Natur ein fotografisches Motiv, aus einer Abbildung ein Bild.
»Der umherstreifende Fotograf sieht, was vor aller Augen liegt. Doch er ist derjenige, der stehen bleibt«, hat Édouard Boubat einmal gesagt. Seit Anfang der 1980er Jahre ist Klaus Kinold mit einer handelsüblichen Panoramakamera unterwegs und fotografiert, wobei bei ihm zuerst das Denken, dann das Schauen und dann das Sehen kommt. Klaus Kinolds Fotografie ist eine entschieden gedachte, gedanklich in die Spur gebrachte – und dies lange bevor der Finger den Auslöser berührt. Klaus Kinolds Art zu fotografieren sei ein betont intellektueller Vorgang, hat Klaus-Jürgen Sembach einmal definiert. Was Sinnlichkeit, ästhetische Finesse, Ponderation keineswegs ausschließt. Im Gegenteil gelangen in Klaus Kinolds freier Arbeit Idee und Reiz, Sinn und Form, Konzept und ästhetische Vision auf seltene Art zur Deckung. Wo seine Vorbilder liegen? Ganz sicher nicht in der Medienkunst der Gegenwart, die das Flimmern des digitalen Zeitalters in unsere Museen trägt. Klaus Kinolds Blick ist intensiv, konzentriert, entschleunigt. In seiner Arbeitsweise ist er ganz bei den Kamerakünstlern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die noch sehen und staunen konnten über das Angebot der
Wirklichkeit und die nicht arrangieren oder inszenieren mussten. Aber nicht nur arbeitstechnisch sperrt sich Kinold gegen die Nervosität der Postmoderne. Auch in seiner Ikonografie gestattet er sich eine seltene Komplexität, die opponiert sowohl gegen die temporeiche Bilderflut der bewegten neuen Medien wie den rasanten Zugriff einer Kleinbildfotografie, von der es heißt, sie habe uns viele merkfähige Foto-Ikonen hinterlassen. Lassen sich Klaus Kinolds schwarzweiße Panoramen für ein kollektives Gedächtnis reklamieren? Eher nicht. In der Anlage zu subtil, in der Komposition zu delikat, wollen sie gesehen, gelesen und immer wieder der Betrachtung unterworfen werden. Da ist nichts beiläufig, nichts unüberlegt, nichts jenem Zufall geschuldet, wie er das Handeln nicht weniger Kamerakünstler leitet und geleitet hat. Klaus Kinolds ausladende Panoramen haben etwas Enzyklopädisches. In ihnen werden Beziehungen gestiftet, auch wenn die Dinge ursächlich weit auseinander liegen: ein abgestellter Wagen, ein unfertiges Haus, eine Skulptur am Straßenrand. Wie in »Gibellina Nuova, Sizilien, 1988« wählt Klaus Kinold aus, führt zusammen, stiftet Relationen, indem er einen, seinen Standpunkt sucht und findet. Dabei sind seine Bildschöpfungen zugleich reich und karg, komplex und klar, monumental und zart. Sie folgen dem, was Roland Barthes mit »Studium« umschrieben hat, also einem ästhetischen Generalbass, in den sich immer wieder – in Gestalt des »Punctum« – irritierende Elemente mischen. Elemente, die aus einem Tableau so etwas wie ein kleines, bisweilen surreales Ereignis werden lassen.
»Der Fotograf ist in seiner Fotografie wie der Musiker in seiner Musik«, so noch einmal Édouard Boubat. Selbstredend ist auch Klaus Kinold in seinen Bildern enthalten, auch wenn er sich laute Gesten, temporeiche Ausbrüche versagt. Typisch für ihn ist der orthogonale, direkte Zugriff auf ein Motiv, sagen wir ein Stück Architektur wie die 1981 in frontaler Gänze erfasste Alte Pinakothek in München. Schon ein kleiner Schritt zur Seite, ein Verlassen des rechten Winkels und der Fotograf wird als Subjekt erkennbar. Kinold versagt sich den perspektivischen Trick, nimmt stattdessen einen zart in den Ausschnitt ragenden Schatten mit hinein ins Bild und vermittelt der Komposition damit jene Spannung, die aus einer nüchternen Gesamtansicht des Klenze-Baus eine echte Bild-Erfindung macht. Klaus Kinold fotografiert wie große Köche kochen. Er hegt Respekt vor dem, was das Leben bietet, und wo er würzend eingreift, tut er dies sparsam und mit Bedacht. Versailles beispielsweise haben schon viele fotografiert und die Treppen dort gehören zu den Topoi einer Fotografie vor Ort. Ein Stück Treppe hat auch Klaus Kinold zum Bildgegenstand erhoben. Dahinter im zarten Dunst eines
– vermuten wir – Herbstmorgens das Schloss, ein Stück gebaute Macht, ein Bau, über den etwa Niels von Holst urteilte, er sei das »größte, je im Laufe eines Menschenalters und auf Geheiß eines einzelnen errichtete Bauwerk.« Klaus Kinold thematisiert das Monumentale, aber zwei fliegenkleine Spaziergänger am Treppenende und gleichsam im Moment ihres Verschwindens erfasst, ironisieren das Pompöse der königlichen Geste, relativieren allen royalen Glanz und Größenwahn.
Es ist kein Geheimnis: Klaus Kinolds zentrales Interesse gilt der Architektur. Menschen tauchen bei ihm eher selten auf. Das gilt auch für seine freien Panoramen, die sich konsequent der Anekdote, dem eingängigen Plot verweigern. »Klaus Kinolds Bilder stellen eine Art der visuellen Besinnung dar, die ganz unschmeichlerisch ist. Alles Aperçuhafte fehlt ihr«, bringt es Klaus-Jürgen Sembach auf den Punkt. So blicken wir auf Kulissen wie in einem Film. Doch die Protagonisten eines wie auch immer gearteten Schauspiels sind längst weitergezogen. Klaus Kinold konfrontiert uns mit dem Set, dem Hintergrund zu einer Geschichte, die zu Ende zu denken uns vorbehalten bleibt. Fotografierend nähert sich Klaus Kinold einem Davor oder Danach. Was ihn interessiert, ist nicht »Action«, sondern »Suspense«, sind die Zwischenräume einer Welt, die sich eben nicht zu Ende erklären lässt. Obwohl in seinem Handwerk als Architekturfotograf von Namen wie Albert Renger-Patzsch, Werner Mantz oder Hugo Schmölz beeinflusst: In seiner freien Panoramafotografie steht Klaus Kinold den Bildschöpfungen eines Herbert List, der Ästhetik einer »Fotografia metafisica« näher, wenngleich er sich dem kontrastreichen Licht südlicher Sonne verweigert zugunsten eher diffuser, die Grauwerte fein ziselierender Stimmungen. Einzig die Ägineten in ihrem Kampf profitieren von einem Moment entschiedenen Lichteinfalls, wobei bei Kinold der »entscheidende Augenblick« eher eine Frage des Standpunkts als zeitlicher Vorgabe ist. Auf lichtgeschwindes Reagieren lässt er sich nicht ein. Seine Bilder sind sorgsam gebaut, überlegt gestaltet, im Wettstreit der Linien und Flächen behutsam komponiert. Dabei kann ihm alles zum Vorwurf einer Bilderzählung werden – der Schlossplatz in Leningrad ebenso wie eine entlegene Pappelplantage in der Emilia Romagna, ein Stück Eisenbahn bei Piacenza ebenso wie Frank Lloyd Wrights »Johnson Wax Factory«. Klaus Kinolds Panoramen sind eine Schule des Sehens und der Wahrnehmung. Ein trickreiches Stück Aufklärung mit doppeltem Boden.
Biographie
1939 geboren in Essen, lebt in München. 1962 bis 1968 Studium der Architektur bei Egon Eiermann und Rudolf Büchner an der Technischen Hochschule Karlsruhe. 1968 Diplom und Eröffnung eines Ateliers für Architekturfotografie. Seit 1969 Herausgeber von Architekturzeitschriften wie ‚KS Neues‘ und ‚Bauen in Beton‘ sowie von Büchern. 1987 bis 1996 Lehrauftrag für Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. 1983 erste Einzelausstellung der Panorama-Fotografien in der Galerie Rudolf Kicken, Köln. Weitere Ausstellungen u.a.: 1988 17. Triennale, Mailand, 1993 Kunsthalle Bielefeld, 1994 Palazzo Reale, Neapel, 1995 Die Neue Sammlung, München, 1996 Kunstverein Ingolstadt, 2001 Neues Museum, Nürnberg, 2009 Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne, München
Werke in öffentlichen Sammlungen (Auswahl)
The Denver Art Museum
Museum Folkwang, Essen
Museum Ludwig, Köln
Canadian Centre for Architecture, Montreal
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München
New Orleans Museum of Art
Musei Comunali, Rimini
The Metropolitan Museum of Art, New York
Fotografiska Museet I Moderna Museet, Stockholm
Architekturmuseum der Technischen Universität München
Die Neue Sammlung, München
Einzelausstellungen
1983 Rudolf Kicken Galerie, Köln
1984 Galerie für Fotografie Jutta Rößner, Stuttgart, Musei Comunali, Rimini, Spectrum Photogalerie im Sprengel Museum, Hannover
1985 Werkstatt Galerie, München, Portfolio Galerie, Antwerpen
1987 Galerie Roland Angst, München
1993 Kunsthalle Bielefeld
1994 Lichtbildgalerie, Worpswede, Sächsischer Landtag, Dresden
1995 Die Neue Sammlung, München, Galerie der Stadt Kornwestheim
1996 Kunstverein Ingolstadt
1997 Ausstellungsfoyer Vereinte Versicherungen, München
1998 Kicken Gallery, Berlin
1999 Lindenkeller Freising, Dany Keller Galerie, München
2001 Haus der Fotografie Hannover, Neues Museum, Nürnberg
2002 Galerie Stefan Vogdt, München
2004 Galerie Stefan Vogdt, München
2008 Galerie Günter Lang, Eichstätt, Galerie Stefan Vogdt, München
2009 Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, München, Galerie der DG, München, Ehemalige Johanniskirche, Eichstätt
2010 Galerie der DG, München, Architekturgalerie, München
Gruppenausstellungen (Auswahl)
1984 PPS. Galerie, Hamburg, Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum, München
1985 Musée des Beaux-Arts, Toronto/Ontario, Kunstverein, München
1986 Sala Comunale Esposizioni, Reggio Emilia, Kunstverein, Salzburg, Diana Archibald Gallery, Montreal
1988 Triennale, Mailand
1989 Kunsthalle Bielefeld
1990 Galerie Roland Angst, Praterinsel München, Antico Foro Boario, Reggio Emilia, Kicken Pauseback, Köln
1992 Galerie für Fotografie, Rotenburg
1993 Palazzo delle Esposizioni, Rom
1994 Palazzo Reale, Neapel
1995 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
1996 6. Architekturbiennale, Venedig
2000 SK Josefsberg Studio, Portland/Oregon, Museum Ludwig, Köln
2002 Martin-Gropius-Bau, Berlin
2004 Théâtre de la Photographie et de l’Image, Nizza
2007 Galerie der DG, München
2009 Kicken Gallery, Berlin
2013 Galerie Dittmar, Berlin