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Sehen, Wissen, Erinnern

Zeichnungen von Antoinette von Saurma

Über die Kunst der Zeichnung als Seh-Erfahrung schrieb der Künstler und Kunsttheoretiker John Berger in den 1970er-Jahren einen kleinen, feinen Text, in dem es heißt: „Zeichnen heißt sehen, die Struktur der Erscheinungen beobachten. Die Zeichnung eines Baumes zeigt nicht einfach einen Baum, sondern einen Baum, der angeschaut wird. Während der Anblick eines Baumes fast augenblicklich registriert wird, nimmt die Beobachtung des Anblicks eines Baumes – eines Baumes also, der angeschaut wird – nicht nur Minuten oder sogar Stunden statt des Buchteils einer Sekunde in Anspruch, sie schließt auch frühere Erfahrungen des Sehens ein, leitet sich aus ihnen ab, bezieht sich auf sie zurück. Auf diese Weise widersetzt sich der Akt des Zeichnens dem Prozeß des Verschwindens der Erscheinungen und läßt die Gleichzeitigkeit einer Vielzahl von Augenblicken ahnen. Aus jedem Blick sammelt die Zeichnung ein kleines Stück sichtbarer Realität, aber sie besteht aus der sichtbaren Realität vieler solcher Blicke, die zusammen gesehen werden  können.

“Bei John Berger fasst die Zeichnung momentan Erfahrenes und Erinnertes, weist in die Vergangenheit und Gegenwart. Jede zeichnerisch entstandene Arbeit trägt zugleich auch bereits die Zukunft in sich, wenn auf das vollendete Werk geblickt werden wird. Zeichnung ist also nicht nur Ausdruck der Zeit, in der sie entstanden ist. Sie sammelt auch all jene Eindrücke des Zeichners und der Zeichnerin, die sich Zeit ihres Lebens in ihrem Gedächtnis ablagerten. Damit lässt sich behaupten, dass das, was auf einer Zeichnung zu sehen ist, auch wenn es gegenständlich ist, zu keinem Augenblick so aussah, wie das Bild es zeigt (ähnlich sagt es auch Berger in seinem Essay). Diese Überlegungen zur Zeichenkunst schaffen einen besonderen Zugang zu den Bildwelten der Künstlerin Antoinette von Saurma, die sich in ihren häufig großformatigen Federzeichnungen auf Japanpapier intensiv auf eine sichtbare Wirklichkeit einlässt. So zeigen ihre Arbeiten schwere Steine, die an Seilen herabhängen oder riesige Wasserhähne. Und obgleich uns diese Motive (Seil, Stein, Wasserhahn) durch eigene Anschauung realer Gegenstände vertraut sind, bleibt beim Anblick der Zeichnungen ein Erstaunen und Befremden darüber, diese Dinge niemals zuvor so gesehen zu haben.

Antoinette von Saurma überträgt die erblickten Gegenstände in das Medium Tuschezeichnung. Sie exponiert die Unterschiede in Form, Materialität und Textur durch Schraffuren, unterschiedlich starke Linien, Hell-und-Dunkel-Relationen sowie Auslassungen. In diese Perspektivierung alltäglicher Objekte wird auch unweigerlich die Beschaffenheit des Bildträgers einbezogen: das Gewicht und die Größe der Wasserhähne aus Metall steht in einem spannungsreichen Verhältnis zur Fragilität des Papiers, auf dem die Zeichnung entsteht. Und jedes Werk der Künstlerin artikuliert tatsächlich, wie es auch John Berger für die Zeichenkunst behauptet, den Faktor Zeit. Die Arbeitsstunden inkorporieren sich bereits in den unzähligen Strichen, die erst das Bild entstehen lassen; der körperliche Einsatz der künstlerischen Produktion findet besonderen Ausdruck in den großen Formaten. Jede gesetzte Linie ist dabei eine nicht zu revidierende Entscheidung. Seh-Erfahrung, das Wissen über die Gegenstände sowie ein psychisches und physisches Verhältnis zu den Dingen wird manuell auf den Bildträger übersetzt. Nicht zu vergessen ist, dass die Zeichnung eigentlich ein ideales intimes Medium für den nahen Blick ist: jede Umrisslinie ist in der Lage bereits in reduzierter Form einen Körper zu bezeichnen, feine Striche lassen die detailreiche Arbeit auf kleinstem Raum zu. So verändert sich auch die Wirkung von von Saurmas Arbeiten, je näher wir auf sie zutreten. Die gegenständlichen Objekte lösen sich in die Formen auf, die sie zeichnerisch konstituieren: der Wasserhahn wird in der Nahsicht ein Gebilde aus Strichen, Schraffuren und zufällig entstandenen Klecksen.

Und zuletzt: mehr noch als das Medium der Malerei oder andere grafische Techniken wie die Kreide- oder Kohlezeichnung ist die Federzeichnung eine akustische Kunst. Die Feder kann entweder über das Papier gleiten oder heftig kratzen, sie kann in Symbiose oder im Widerstand zu ihrem Bildträger ihre Wirkung entfalten – je nachdem ob das Werkzeug mit Tusche gesättigt ist oder eben nicht, ob mit großem oder wenig Druck auf dem Papier gezeichnet wird. Damit setzt sich die Künstlerin immerzu ins Verhältnis zu ihrem Gegenstand und zu ihren künstlerischen Mitteln. Zeichnung ist eben nicht nur für die Rezipienten eine sinnliche Erfahrung des Blickens und Begreifens, bei der das Auge sich an einzelnen Linien wie an schraffierten oder lavierten Flächen aufhalten kann und vom Einzelnen zum Ganzen und wieder zurückkommt. Beim Blicken auf Zeichnungen vollziehen wir auch immer die Erfahrungen der Urheberin beim Zeichenakt – und ihre eigenen erinnerten und imaginierten Bilder von den Gegenständen, die sie sieht und zeichnet.

Prof. Dr. Burcu Dogramaci, Ludwig Maximilian Universität München, Institut für Kunst Geschichte

 

catalogue 2015

 

Ausstellungen

2016

Center for Advanced Studies, München

2015

“Ich habe noch nie eine Ananas gemalt” Klasse Voigt.  Nassauischer Kunstverein,  Wiesbaden

“Deplaced” Salon Kennedy, Frankfurt am Main

“München zeichnet II “, München

2014

“Das Kind als Objekt der Kunst“  Institute of European Studies, München

“Dioskuren“  Galerie der BBK, München

“Ausstellungsmacher“  Adbk, München

2013

“München zeichnet“  Galerie der BBK, München

“Medium Zeichnung, formulieren des Denkens“  Burghausen

“und was machen wir Morgen?“  Hohenloher Kunstverein, Künzelsau

“Celeste“  Preis Verleihung, Museo Monte Martini, Rom

2012

“rot“ Adbk, München

“Bonjour Monsieur Duchamp“ Kunst Pavillon, München

2011

“Kalter Hund” Adbk, München

“Quartalsabrechnung Klasse Doberauer”  München

2001

“Seeing the Light” Coral Springs Museum of Art

2000

“small works” Nexus gallery, New York

Kunst am Bau

Installation, Atrium der Pinakothek der Moderne, Pin Fest, München, 2014

Wand Malerei, Malteser Stift St. Stephanus, Düsseldorf

Wand Malerei, St. Elizabeth Anne Seton, Florida.

Biographie.

Meisterschülerin bei Jorinde Voigt, Akademie der Künste,  München. 2014

Studium der Malerei bei Anke Doberauer, Akademie der Künste, München. 2010/14

National Diploma of Fine Art, Johannesburg.

Geboren in Windhoek, Namibia.

1.Platz Celeste Preis für Malerei, Museo Monte Martini Rom. 2012