rhinoceros

Pierre Fischer, Rhinocéros 2013, 230 x 400 cm (2 x 230 x 200 cm), Öl und Acryl auf Leinwand

 

Text zur Ausstellung „Immanent“ Kunstverein Friedberg_ 09.Mai – 15 Juni 2014-05-23

Von Joachim Albert M.A., Leiter des Kunsvereins

Die Bilderwelt von Pierre Fischer ist komplex. In den Arbeiten trifft der Betrachter auf Menschen und Gegenstände aus unserer Umwelt, auf Szenarien, auf natürliche und künstliche Räume.

Eine Besonderheit in seiner künstlerischen Bildsprache ist seine Bildkomposition. Die Nähe zum Realen entsteht durch Elemente, die uns allen bekannt sind, Alltägliches wie ein Baum, ein Tier, ein Gebäude oder ein technisches Fortbewegungsmittel wie ein Flugzeug, ein Containerschiff oder ein Auto. Durch seine eigenwillige Art der Gestaltung und der Bildkomposition jedoch, durch die neue Kontextualisierung dieser Elemente, entsteht eine andere Wirklichkeit.

Urbane und natürliche Flächen, Gegenstände und Menschen sind wie Collagen zusammengefügt. Uns bekannte Gesetzmäßigkeiten etwa des Raums werden in dieser Realität aufgehoben. Architektonische Räume beispielsweise verlieren darin gänzlich an Funktionalität, erscheinen häufig als fragmentarisches Motiv mit einer fast unwirklichen Ausstrahlung. Ebenso verhält es sich mit der klassischen Perspektive, durch deren Wegfall ein neuer, weiter Bildraum entsteht. Umgeben sind die menschlichen Gestalten oftmals von monochromen Farbräumen, grafischen Elementen und Farbflächen. Es sind inszenierte Welten, die durch ihre eigenwillig komponierten Landschaften zunächst befremdlich wirken können. Umso vertrauter treten für den Betrachter die menschlichen Protagonisten als zentraler Bezugspunkt in den Vordergrund.

Jene Protagonisten in Fischers Arbeiten stehen oftmals für sich, manche befinden sich in einer Gruppe, die jedoch nicht zwingend miteinander agiert. Einige sind eingeschlafen und es wirkt, als würden in den die sie umgebenden Bildflächen ihre erträumten Welten sichtbar werden. Andere wiederum scheinen den sie umgebenden Raum genau zu inspizieren, mit Hilfe eines Fernrohrs oder einer Taschenlampe.

Der Arbeitstitel Ornithology beispielsweise, mit dem eine Serie von insgesamt drei Arbeiten aus dem Jahr 2012 benannt ist, gibt einen kleinen Hinweis auf die Handlungen der Akteure. Ähnlich dem Ornithologen, der sich im Rahmen seiner Untersuchungen etwa des Verhaltens der Vögel in die Natur begibt, scheinen auch die Figuren in Pierre Fischers Welt in Erwartung zu sein. Analog dem Vogelkundler, der den Vogel vielleicht nicht visuell, jedoch akustisch wahrnimmt, erkunden und erahnen Fischers Figuren die Bildwelt, in der sie sich befinden. Ob das, was sie dabei vorfinden, gut oder schlecht ist, bleibt offen. Manche scheinen in diesem Erahnen und Suchen einem Hinweis zu folgen, der sich jenseits des für den Betrachter visuell Wahrnehmbaren befindet. Kopf, Beine und Hände eines Suchenden in der Arbeit Ornithology III haben sich unserem Blick bereits entzogen. Und so führt ihn die Suche aus der Leinwand hinaus und lenkt die Neugier des Betrachters unmittelbar ebenfalls auf das, was sich jenseits dieser Fläche befinden könnte.

Weitere Figuren entziehen sich durch ihre Körperhaltung, ihre Blickrichtung oder ihre Vertiefung in eine wie auch immer geartete Beschäftigung dem Blick des Betrachters. Daraus entsteht neben dem Wegbrechen vertrauter Gesetzmäßigkeiten eine weitere Distanz, womit man letztendlich vor einem Bild steht, das herausfordert, gänzlich eigene Wege zu finden, sich auf das Ungewisse einzulassen, in das Unbekannte in Fischers Bildwelten einzutauchen.

Durch die eigenwilligen Bildkompositionen entstehen neue, den Inhalt der Arbeiten betreffende Fragestellungen. Warum ist der Hase so groß? Was ist mit dem Schiff passiert? Was ist hinter dem Durchgang? Überhaupt spielen Durchgänge in den Arbeiten immer wieder eine Rolle. Diese Durchgänge tauchen oftmals auf als Türen oder Fenster. In diesem Zusammenhang können plötzlich auch Straßenschluchten, Schiffe, Flugzeuge oder ein Auto zur Metapher für einen Durchgang werden, als Schleuse in etwas, was auf den ersten Blick nicht sichtbar, jedoch durchaus in gewisser Weise für den Betrachter erfahrbar werden kann.

Die Geschichten, die erzählt werden, haben etwas Geheimnisvolles. Manche Elemente und Themen werden vom Künstler immer wieder aufgegriffen, finden sich somit in anderen Arbeiten wieder, in denen sie jedoch durch einen anderen Kontext eine gänzlich andere Geschichte haben. Somit beginnen die Geschichten weit früher als in einer spezifischen Arbeit erfassbar und gehen weit über das auf den ersten Blick Sichtbare hinaus.

Auf die Frage nach seiner Triebfeder bei der Auswahl der Elemente, die seine Bildwelt beherrschen, erfahre ich, dass dieser Auswahl sein eigener Filter, seine Analyse der ihn umgebenden Welt zugrunde liegt. Oftmals sind es Impulse durch äußere Reize wie Texte und Musik, plastische Ansätze und menschliche, persönliche Geschichten.

Seine Arbeiten entstehen dabei oft ohne ein genaues Konzept. Im kreativen Malprozess, in dem unterschiedliche Elemente und Motive mit ihren ganz eigenen Geschichten zusammengeführt werden, entstehen wiederum neue Geschichten. Hierdurch und durch seine eigenwillige Bildkomposition bieten Pierre Fischers Bildwelten eine Vielzahl an Interpretationen. So wie der Künstler in seinen Arbeiten verschiedene Ebenen nebeneinander und übereinander lagert, so hat der Betrachter die Möglichkeit, innerhalb einer Arbeit verschiedene Interpretationsebenen einzunehmen.

Dabei soll auch der Bildtitel nicht zwingenderweise erklären, sondern vielmehr den ein oder anderen Hinweis geben. Vielleicht handelt es sich beim Titel um den Impuls, der den Künstler zum Einstieg in die neue Arbeit inspiriert hat, die jedoch im Rahmen des kreativen, künstlerischen Prozesses in eine weit offenere, größere und komplexere Welt führt.

Die Bildsprache Pierre Fischers, deren mitunter surreale Vielschichtigkeit und die ganz eigene, künstlerische Bildkomposition seiner Bilder erzeugen Spannung und führen den Betrachter hin zu neuen Möglichkeiten der Wahrnehmung.

Genau darin, in der Hinführung zu neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten, liegt auch der Ausstellungstitel immanent begründet. Pierre Fischers Arbeiten liefern neben dem sinnlich Wahrnehmbaren Schleusen in den Bereich des Erfahrbaren, den Weg hin zu neu entdeckbaren Welten.

Ich denke an unser Gespräch, das wir im Rahmen der Ausstellungsplanung in einem Berliner Café, der Joseph-Roth-Diele in der Potsdamer Straße, geführt haben und das uns auch in die Bereiche der Literatur und des Films geführt hat. So landen wir beim großartigen japanischen Literaten Haruki Murakami, dessen literarischer Stil sich unter anderem durch surrealistische Elemente auszeichnet. Später kommt das Gespräch auf den Amerikaner David Keith Lynch, der in seiner Tätigkeit als Regisseur, Produzent, Drehbuchautor das Genre des surrealistischer Films mit geprägt hat mit seinen fantastischen, surrealistischen Bildern und Themen, denen Träume, Albträume oder fremde Welten, Metamorphosen oder das Unterbewusstsein zugrunde liegen.

In den Bilderwelten von Pierre Fischer könnte die Vermutung aufkommen, der Künstler verweigere sich gegenüber rational nachvollziehbaren Geschichten und setze vorwiegend auf die Kraft, die Intensität der Bilder, Bilder, sie durch ihre surrealistische Wirkung Rätsel aufgeben, Bilder, die Einblick in traumhafte Welten geben.

Und dass es traumhaft und fantastisch und rätselhaft bleibt ist gut so, denn um mit einem Zitat des Künstlers zu schließen – wird der Traum erklärt, ist er weg.